Archiv der Kategorie: Urteile

Kein Einstiegsgeld vom Staat für Drogenzubehörhandel

Ein Langzeitarbeitsloser kann nicht die Weitergewährung von Einstiegsgeld zur Überwindung seiner Hilfebedürftigkeit durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit beanspruchen, wenn er einen Online-Handel mit Zubehör zum Drogenanbau und anderen in der Cannabis-Szene gebräuchlichen Produkten betreibt.

SG Dortmund, Urteil vom 28.03.2007, S 22 AS 32/06

Quellen:

Jurion und Sozialgerichtsbarkeit

Leistungsträger muss Nachzahlungsbetrag aus Nebenkostenabrechnung übernehmen

Da Leistungen für Unterkunft und Heizung naturgemäß nicht monatlich exakt abgedeckt werden können, weil die Vorauszahlungen auf die tatsächlich zu zahlenden Nebenkosten nur ein Schätzwert sind, kann die tatsächliche Zahlungsverpflichtung der Behörde erst über die jährlich zu erstellende Nebenkostenabrechnung ermittelt werden. Ergibt sich aus dieser Nebenkostenabrechnung ein Nachzahlungsbetrag, so ist die Behörde nach der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB-II verpflichtet, diesen Nachzahlungsbetrag zu übernehmen, wenn der Bedürftige fortlaufend Leistungen nach dem SGB-II beantragt hat und diese Anträge die Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung beinhalten.

SG Düsseldorf, Bescheid vom 02.04.2007, S 35 AS 41/07

Quellen: Jurion und Sozialgerichtsbarkeit

Nur hilfebedürftige Kinder gehören zur dem Haushalt angehörenden Bedarfsgemeinschaft

Die Hilfebedürftigkeit zwischen Ehegatten ist nicht Voraussetzung für eine Bedarfsgemeinschaft zwischen ihnen. Ebenso ist unbeachtlich, ob ein Partner erwerbsfähig oder erwerbsunfähig ist. Anderenfalls würden diejenigen, die eine Rente beziehen, gegenüber der jüngeren, arbeitenden Bevölkerung bevorzugt, weil die Art des Einkommens keinen Bezug zum Bedarf innerhalb einer „aus einem Topf“ wirtschaftenden Lebensgemeinschaft im Sinne des § 20 Abs. 2 und 3 SGB II ist und auch keinen Bezug zu dem Umfang hat, in dem der eine Ehegatte dem anderen in einer intakten Lebensgemeinschaft nach seinen finanziellen Möglichkeiten unterstützen kann. Nicht hilfebedürftige Kinder werden nicht in eine solche Bedarfsgemeinschaft einbezogen. Ihr Einkommen und Vermögen wird auch nicht für die übrigen Haushaltsangehörigen eingesetzt und bestimmt auch nicht die Regelbedarfsbemessung der übrigen Haushaltsangehörigen.

SG Lüneburg, Urteil vom 21.02.2007 (S 25 AS 503/05)

Quellen: Jurion und Sozialgerichtsbarkeit

Kein Rückgewähranspruch des Sozialhilfeträgers für zu Unrecht an Vermieter gezahlte Unterkunftskosten eines Hilfeempfängers

Ein Sozialleistungsträger, der die Unterkunftskosten eines Hilfebedürftigen dadurch übernommen hat, indem er dessen Mietkosten unmittelbar an den Vermieter gezahlt hat, ohne selbst Vertragspartei zu sein, kann zu Unrecht gezahlte Beträge nicht aus öffentlich-rechtlichem Erstattungsanspruch vom Vermieter zurückverlangen. Durch die Zahlung begleicht der Leistungsträger seine Schuld gegenüber dem Hilfebedürftigen aus dem Sozialhilfeverhältnis und zugleich dessen Schuld aus dem Mietverhältnis. Es fehlt an einer unmittelbaren Rechtsbeziehung zwischen dem leistenden Sozialamt und dem Vermieter.

SG Aachen, Urteil vom 30.01.2007, S 20 SO 55/06

Quellen: jurion und Sozialgerichtsbarkeit

ALG-II-Empfänger hat Anspruch auf Geld für Gardinen

Ein Empfänger von Arbeitslosengeld II hat nach einem Umzug unter Umständen Anspruch auf neue Gardinen. Können die Gardinen aus der früheren Wohnung nicht verwendet werden, ist die zuständige Arbeitsgemeinschaft verpflichtet, die Kosten für eine Neuanschaffung zu übernehmen. Der Leistungsempfänger soll für den Kauf jedoch die günstigste Möglichkeit nutzen, dies kann auch eine Ersteigerung im Internet sein. Gardinen sind Teile der Erstausstattung einer Wohnung.

SG Münster, Beschluss vom 02.04.2007, Az. S 5 AS 55/07 ER

Quellen: jurion und Sozialgerichtsbarkeit

Zur Aufrechnung mit in der Vergangenheit überzahlten Leistungen aus dem SGB II

Ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende darf während des laufenden Leistungsbezuges eine Aufrechnung mit in der Vergangenheit überzahlten Leistungen nur vornehmen, wenn die Überzahlung auf Grund unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Hilfebedürftigen erfolgt ist. Dies hat das Sozialgericht Koblenz mit Urteil vom 5.4.2007 (Az.: S 11 AS 635/06) entschieden.

Der Kläger bezieht Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Im Juli und August 2006 übte er eine geringfügige Beschäftigung aus und erzielte hieraus anrechnungsfähiges Einkommen. Er teilte die Arbeitsaufnahme der beklagten ARGE bei Beginn der Beschäftigung mit Nach Vorlage der Lohnabrechnungen errechnete die ARGE im September 2006 eine Überzahlung der bereits ausgezahlten Leistungen für die Monate Juli und August 2006, hob insoweit den Bewilligungsbescheid teilweise auf, machte eine Erstattungsforderung in Höhe von 160 € geltend und kündigte an, die Überzahlung mit den Leistungen ab September 2006 in vier Raten aufzurechnen.

Die 11. Kammer des Sozialgerichts hat die Aufrechnung der Beklagten mit den laufenden Leistungen für unzulässig erklärt. Nach § 43 Satz 1 SGB II kann eine Aufrechnung überzahlter Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit der laufenden Regelleistung bis zu 30 Prozent nur dann erfolgen, wenn es sich um Erstattungsansprüche handelt, die der Hilfebedürftige durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben verursacht hat. Dies war vorliegend nicht der Fall, der Kläger war seiner Mitwirkungspflicht ordnungsgemäß nachgekommen. Obwohl das erzielte Einkommen erst nach Abrechnung durch den Arbeitgeber und nach Auszahlung der Regelleistung durch die ARGE für den jeweiligen Monat berücksichtigt werden konnte, schließt die Gesetzeslage eine Aufrechnung mit den laufenden Leistungen aus, wenn der Hilfebedürftige nicht ausdrücklich mit der Aufrechnung einverstanden ist. Der Gesetzgeber hat nach Auffassung des Gerichts der aktuellen Sicherung des Lebensunterhalts des Hilfebedürftigen den Vorrang gegenüber dem fiskalischen Interesse der ARGE, überzahlte Leistungen noch während des Leistungsbezuges zurückzuerhalten, eingeräumt.

Quelle: PM SG Koblenz vom 25.04.2007 und Recht und Alltag vom 25.04.2007

Eingliederungsvereinbarung und Sanktionen

In diesem Fall war eine Eingliederungsvereinbarung mit der Hilfebedürftigen nicht abgeschlossen worden, stattdessen hatte die Arbeitsagentur einen ersetzenden Verwaltungsakt erlassen. Darin wurden die Verpflichtungen der Arbeitslosen aufgelistet. Da die Klägerin diesen Verpflichtungen nach Ansicht der Behörde nicht nachkam, wurden die Leistungen nach dem SGB II für 3 Monate gestrichen. Sie erhielt keine Hilfen zum Lebensunterhalt (HzL) mehr, sondern nur noch Leistungen für Unterkunft und Heizung (KdU).

Das Hessische Landessozialgericht hat nun entschieden, dass in solchen Fällen die Betroffene wegen des Pflichtenverstoßes nicht sanktioniert werden darf. Eine Pflichtverletzung hätte nur auf der Grundlage einer Eingliederungsvereinbarung geahndet werden können. Das Gesetz sieht keine Leistungskürzung aufgrund des Verstoßes gegen einen ersetzenden Verwaltungsakt vor.

Beschluss des Landessozialgerichtes Hessen vom 21.02.2007 Akz: L 7 AS 288/06 ER

Quellen:

Blog RA Sehn, Sozialgerichtsbarkeit und Hessisches Landessozialgericht

Drogenkonsum ist nur ausnahmsweise als wichtiger Grund zur Weigerung einer zumutbaren Arbeitsgelegenheit anerkannt

In einem Beschluss in einem Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes vor dem SG Lüneburg vom 15.04.2007 AZ: S 24 AS 254/07 ER entschied das Gericht:
Der Konsum von Drogen nur dann als wichtiger Grund zur Weigerung einer zumutbaren Arbeitsgelegenheit anerkannt werden kann, wenn der Drogenkonsum des Hilfebedürftigen ein Maß angenommen hat, welches die freie Willensbetätigung ausschließt. Dies ist nicht der Fall, wenn der Hilfebedürftige in der Lage ist, Angelegenheiten des täglichen Lebens – z.B. Wohnungssuche, Fertigung von Schriftsätzen und Anträgen – selbst zu regeln.

Aus dem Entscheidungstenor:
In dem Drogenkonsum des Antragstellers liegt kein wichtiger Grund im oben genannten Sinne. Ein wichtiger Grund könnte allenfalls dann anerkannt werden, wenn der Drogenkonsum des Antragstellers ein Maß angenommen hätte, welches die freie Willensbetätigung ausschlösse. Aus der Verwaltungsakte ist ersichtlich, dass der Antragsteller durchaus gestalterisch auf sein Leben Einfluss nimmt. So fertigt er immer wieder Schriftsätze und Anträge. Auch den Eilantrag bei Gericht hat er gestellt. Auch ist es ihm gelungen, eine Wohnung zu finden. Er ist in Kontakt mit der Einrichtung F … Die Kammer geht deshalb davon aus, dass der Antragsteller in der Lage ist, Angelegenheiten des täglichen Lebens zu regeln. Deshalb geht die Kammer davon aus, dass der Antragsteller bei zumutbarer Willensanstrengung auch die Arbeitsgelegenheit hätte aufnehmen können, wenn er es gewollt hätte. Über die möglichen Rechtsfolgen wurde der Antragsteller belehrt. Sie waren ihm auch aufgrund seiner Erfahrungen beim Bezug von Sozialleistungen bekannt.


Quellen:
Jurion.de, Sozialgerichtsbarkeit und SG Lüneburg

Rückzahlungspflicht bei Zahlung ohne Rechtsgrund

Ein Leistungsempfänger, der von einem Leistungsträger eine Zahlung auf sein Girokonto erhält, ist zur Rückzahlung trotz Verbrauch verpflichtet, wenn erkennbar war, dass die Zahlung ohne Rechtsgrund erfolgt war. Ob dies der Fall war, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden. Eine Erkennbarkeit ist zu bejahen, wenn die Leistung nicht mit einem entsprechenden Leistungsbescheid korrespondiert.

SG Lüneburg, Bescheid vom 12.02.2007, Az. S 24 AS 852/06

Quellen:

jurion.de und SG Lüneburg

Viermonatiges Praktikum zur Einarbeitung ohne Arbeitslohn ist als Eingliederungsmaßnahme nicht zumutbar

Der Kläger war arbeitsloser Busfahrer und bezog ALG II. Er besaß zwar den Busführerschein, hatte aber keine Fahrpraxis. Die beklagte Behörde, die schon den Erwerb des Busführerscheins gefördert hatte, vermittelte ihn in ein vom Arbeitgeber nicht bezahltes viermonatiges Praktikum bei einem Reisebusunternehmen, nach dessen Abschluss Aussicht auf Festanstellung bestand. Das Unternehmen hat später drei von mindestens sieben Praktikanten eingestellt. Von der Beklagten erhielt der Kläger während des Praktikums neben dem ALG II monatlich 100 €.

Der Kläger wurde nicht eingestellt, sondern kurz vor Ablauf des Praktikums gekündigt, weil er zu wenig motiviert, geradezu unlustig gewesen sei. Absprachewidrig sei er zu einem Dienst nicht angetreten. Die Beklagte kürzte das ALG II (§ 31 Abs 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. c/d SGB II), weil der Kläger ohne wichtigen Grund Anlass zum Abbruch der Maßnahme gegeben habe.
Der Kläger trug unbestritten vor, er habe während der Praktikumszeit Montags bis Freitags Touren für den Arbeitgeber gefahren wie ein regulärer Vollzeit-Busfahrer, jeweils Samstags sei er begleitet und in Strecken und Tarife eingewiesen worden. Noch am Tag vor seiner Kündigung habe er von 6 bis 18 Uhr gearbeitet.

Dies nahm die 9. Kammer des Sozialgerichts in ihrem Beschluss vom 22.03.07 (Az.: S 9 AS 32/07 ER) zum Anlass, die ausgesprochene Sanktion für rechtswidrig zu erklären. Es habe sich nicht um eine zumutbare Maßnahme gehandelt. Zwar hob das Gericht das engagierte Bemühen der Beklagten um Vermittlung des Klägers in eine Festanstellung lobend hervor und ließ offen, ob der Kläger sich angemessen verhalten habe. Maßnahmen zur Verbesserung der Eingliederungsaussichten seien jedoch auf höchstens 12 Wochen zu beschränken (§ 49 SGB III). Denn die Förderung unbezahlter Vollzeitarbeit verzerre den Wettbewerb und den Arbeitsmarkt. Die Arbeitgeberin habe im konkreten Fall 7 Fahrer je 4 Monate unbezahlt beschäftigt und damit mehr als zwei Jahresgehälter eingespart, die üblicherweise im Rahmen von Probearbeitsverhältnissen hätten gezahlt werden müssen.
Der Beschluss des Sozialgerichts erging in einem Eilverfahren. In der Hauptsache ist die Beklagte der Entscheidung gefolgt und hat die Sanktion aufgehoben. Mit einem Rechtsmittel ist deshalb nicht mehr zu rechnen.

Quellen:

Recht und Alltag und PM SG Aachen vom 5. April 2007