Archiv für den Tag: 20. März 2007

§ 9 Abs. 2 S. 2 SGB II ist verfassungsrechtlich bedenklich

In einer Entscheidung, im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes (§ 86b SGG), entschied das SG Duisburg, Beschluss vom 07.03.2007, Az. S 17 AS 60/07 ER das:

Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II, nach der bei der Berechnung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auch das Einkommen eines Stiefvaters anzurechnen ist, begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken. Es erfolgt dabei eine Einkommensanrechnung losgelöst von den tatsächlichen Gegebenheiten. Der Mutter bleibt dann zur Sicherstellung des Lebensunterhalts nur die Trennung vom Ehepartner, was der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG widerspricht.

Aus dem Beschlusstenor:

Die Regelung des § 9 Abs. 2 S. 2 in der ab dem 01.08.2006 geltenden Fassung begegnet im Hinblick auf die im Artikel 6 Grundgesetz gewährleistete Freiheit zur Eheschließung verfassungsrechtlichen Bedenken, weil nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II mit der Eheschließung automatisch eine Unterhaltsverpflichtung für die Kinder der Ehefrau verknüpft ist. Darüber hinaus verletzt § 9 Abs. 2 S. 2 das Gebot zur Sicherung des Existenzminimums aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot des Artikel 20 Grundgesetz. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Staat aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot des Artikel 20 Abs. 1 Grundgesetz verpflichtet, dem mittellosen Bürger die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern (Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 29.05.1990 = BverfGE 82, 60, 85). Dieser Sicherungsauftrag wird durcch § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II nicht mehr verfassungskonform gewährleistet, weil die Regelung allein die schematische Anrechnung von Einkommen zum Inhalt hat, ohne dass darauf Rücksicht genommen wird, ob das Existenzminimum des jeweiligen Kindes tatsächlich durch entsprechenden Einkommenszufluss durch den Stiefpartner gesichert ist. Sollte dies nämlich nicht der Fall sein, so stünden dem Kind keinerlei rechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, eine tatsächliche Deckung seines Bedarfs durchzusetzen.

SGB-II § 9 Abs. 2 S. 2, GG Art. 6 Abs. 1, GG Art. 100 Abs. 1

Quellen:

Jurion und Sozialgerichtsbarkeit