Archiv der Kategorie: Urteile

Leistungen nach dem SGB II darf bei Studenten nach jahrelanger Zahlung nicht einfach eingestellt werden

Zum wiederholten Mal hatte sich das Sozialgericht Aachen mit § 7 Abs. 5 S.1 SGB II zu befassen. Nach dieser Vorschrift hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, wer eine Ausbildung macht, die grundsätzlich BAFöG-förderungsfähig ist, auch wenn er selbst aus persönlichen Gründen (z.B. wegen Alters) kein BAFöG bekommen kann. Nur in besonderen Härtefällen kann dann Alg II als Darlehen gewährt werden.

In einem jetzt vor der 8. Kammer des Gerichts anhängigen Eilverfahren ging es um eine Studentin, die ein Fachhochschuldiplom in Oecotrophologie anstrebt. Die Regelstudiendauer beträgt 8 Semester. Die Studentin ist seit dem 1.9.2002 eingeschrieben, die BAFöG-Förderung wurde abgelehnt.

In Kenntnis der Tatsache, dass die Antragstellerin studiert, bewilligte die Antragsgegnerin (ARGE) seit 1.1.2005 wiederholt bis einschließlich 28.2.2007 ALG II. Ab 1.3.2007 lehnte die Antragsgegnerin die Weiterbewilligung unter Hinweis auf das grundsätzlich nach BAFöG förderungsfähige Studium der Antragstellerin ab.

Das Sozialgericht Aachen teilt in seinem Beschluss vom 30.03.2007 (Az,; S 8 AS 25/07 ER; nicht rechtskräftig) zwar die Auffassung der Antragsgegnerin, dass ALG II während des Studiums nicht weiter als Zuschuss gezahlt werden darf. Es liege aber ein besonderer Härtefall vor, denn die Antragstellerin habe den größten Teil der Ausbildung absolviert, mit den abschließenden Prüfungen begonnen, und ein Abbruch der Ausbildung sei ihr nicht mehr zumutbar. Zwar habe sie in der Vergangenheit das ALG II zu Unrecht von der Antragsgegnerin erhalten. Durch die über zweijährige Zahlung von ALG II trotz Studiums habe aber die Antragsgegnerin einen Vertrauenstatbestand geschaffen, der einer völligen Einstellung der Leistungen entgegen stehe. Zumindest darlehensweise müsse die Antragstellerin deshalb weiter ALG II erhalten.

Quelle:

Recht und Alltag und PM SG Aachen v. 5.04.2007

Eine Erbschaft im Sozialhilfe-Bezugszeitraum ist als Einkommen zu berücksichtigen

Einkommen sind alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der in § 11 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 und 3 SGB II und in § 1 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung genannten Leistungen und Zuwendungen. Als Einkommen ist zu bewerten, was der Hilfebedürftige während eines Zahlungszeitraums wertmäßig dazu erhält, als Vermögen das, was er bei Beginn eines Zahlungszeitraums bereits hat. Fließt dem Hilfebedürftigem in der Zeit, in der er Sozialhilfe bezieht, eine Erbschaft zu, so ist diese als Einkommen und nicht als Vermögen zu berücksichtigen. Freibeträge kann er daher nicht geltend machen.

SG Lüneburg, Beschluss vom 01.03.2007, Az. S 24 AS 212/07 ER

Quellen:

jurion.de und SG Lüneburg

Eine vollständige Versagung von Leistungen nach dem SGB II ist bei Verletzung der Mitwirkungspflicht rechtswidrig

Kommt ein Empfänger von Alg-II der Aufforderung zur persönlichen Vorsprache beim Arbeitsvermittler nicht nach, so stehen dem Leistungsträger ausschließlich die für diesen Fall normierten Sanktionen zur Verfügung. Die gänzliche Verweigerung von Leistungen ist dabei nicht vorgesehen. Ein Verwaltungsakt, der unter Bezugnahme auf §§ 60, 61, 66 SGB-I die Alg-II-Leistungen vollständig verwehrt, ist in diesem Fall rechtswidrig.

Quellen:

jurion.de und SG Lüneburg

Anspruch auf Übernahme der Kosten für Klassenfahrt in tatsächlicher Höhe

Auf entsprechenden Antrag sind die Kosten für eine Klassenfahrt grundsätzlich in Höhe der tatsächlichen Kosten vom Leistungsträger zu übernehmen. Dies gilt zumindest insoweit, als die Kosten nicht außer Verhältnis stehen. 250 € für einen mehrtägigen Segeltörn sind nicht unangemessen. Einer Übernahme dieser Kosten steht auch nicht entgegen, dass der Antragsteller seine 12-jährige Schulpflicht bereits erfüllt hat.
zu § 23 Abs. 3 Nr. 3 SGB II

SG Lüneburg, Beschluss vom 30.01.2007, Az. S 30 AS 119/07 ER

Quellen:

jurion.de und SG Lüneburg

Kein Anspruch auf 3-monatige Mitnahme von Arbeitslosengeld II bei Arbeitssuche in Italien

Das LSG Nordrhein-Westfalen hat mit einem Beschluss vom 30.03.2007 (Az. L 19 B 102/06 AS) festgestellt, dass:

es europarechtskonform ist, den Anspruch auf Arbeitslosengeld II während eines Auslandsaufenthaltes lediglich für einen Zeitraum von 3 Wochen zu gewähren, sofern der Leistungsträger der Ortsabwesenheit zugestimmt hat. Der grundsätzliche Ausschluss der Exportfähigkeit des Arbeitslosengelds II verstößt darüber hinaus nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot, weil Arbeitslosengeld II unter Gewährung des Zuschlags nach § 24 Abs. 1 SGB II weiterhin exportfähig ist. (spa)

EWGVO-1408/1971, GG Art. 3 Abs. 1, SGB-II § 7 Abs. 4a, SGB-II § 24 Abs. 1

Quellen:

Sozialgerichtsbarkeit, LSG Nordrein-Westfalen und Jurion

BGH über die Verantwortlichkeit des Betreibers eines Meinungsforums im Internet

Der Bundesgerichtshof hat heute darüber geurteilt, wie Forenbetreiber für Meinungsäußerungen der User haften:

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Verantwortlichkeit des Betreibers eines Internetforums für dort eingestellte ehrverletzende Beiträge nicht deshalb entfällt, weil dem Verletzten die Identität des Autors bekannt ist. Gegen den Forumsbetreiber kann vielmehr ab Kenntniserlangung ein Unterlassungsanspruch des Verletzten bestehen, unabhängig von dessen Ansprüchen gegen den Autor des beanstandeten Beitrags.

Einem Unterlassungsanspruch gegen den Betreiber des Forums steht auch nicht entgegen, dass der beanstandete Beitrag in ein so genanntes Meinungsforum eingestellt worden ist.

Der Pressemitteilung ist zu entnehmen, dass der Forenbetreiber haftet, sobald er Kenntnis von rechtswidrigen Inhalten hat. Eventuelle vorbeugende Kontrollpflichten lassen sich der Pressemitteilung nicht entnehmen. Andererseits kann der Forenbetreiber nicht auf den Verfasser des Kommentars verweisen, selbst wenn dieser bekannt ist.

BGH Pressemitteilung Nr. 39/07 vom 27.3.2007:

Bundesgerichtshof entscheidet über die Verantwortlichkeit des Betreibers eines Meinungsforums im Internet

Der Kläger ist Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender eines Vereins, dessen satzungsmäßiger Zweck u. a. die Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet ist. Die Beklagte ist Betreiberin eines Internetforums, das sich mit sexuellem Missbrauch und Kinderpornographie beschäftigt. Der Kläger hat die Beklagte auf Unterlassung der Verbreitung von zwei Beiträgen in Anspruch genommen, durch die sich der Kläger in seiner Ehre verletzt sieht und die von Dritten jeweils unter einem Pseudonym („Nickname“) in das Forum eingestellt worden waren. Der Autor eines der Beiträge ist den Parteien bekannt. Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Klage hinsichtlich des Beitrags des den Parteien bekannten Verfassers abgewiesen. Die Revision des Klägers führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Gegenstand des Revisionsverfahrens war u. a. die Frage, ob und unter welchen Umständen der Betreiber eines Internetforums vom Verletzten auf Unterlassung einer ehrverletzenden Äußerung in Anspruch genommen werden kann, die ein Dritter in das Forum eingestellt hat. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Verantwortlichkeit des Betreibers eines Internetforums für dort eingestellte ehrverletzende Beiträge nicht deshalb entfällt, weil dem Verletzten die Identität des Autors bekannt ist. Gegen den Forumsbetreiber kann vielmehr ab Kenntniserlangung ein Unterlassungsanspruch des Verletzten bestehen, unabhängig von dessen Ansprüchen gegen den Autor des beanstandeten Beitrags.

Einem Unterlassungsanspruch gegen den Betreiber des Forums steht auch nicht entgegen, dass der beanstandete Beitrag in ein so genanntes Meinungsforum eingestellt worden ist. An einer abschließenden Entscheidung war der Senat gehindert, weil der Inhalt des zweiten Beitrags vom Tatrichter noch nicht gewürdigt worden war.

Urteil des VI. Zivilsenats vom 27.3.2007 – VI ZR 101/06 –

LG Düsseldorf – Entscheidung vom 14.9.2005 – 12 O 440/04 ./.; OLG Düsseldorf – Entscheidung vom 26.4.2006 – I-15 U 180/05

Quellen:

Pressemitteilung des BGH und lawblog

Kein Arbeitslosengeld II nach Gewinn eines Autos

Gewinnt ein Langzeitarbeitsloser in einem Gewinnspiel einen PKW, besteht in der Folgezeit kein Anspruch auf Arbeitslosengeld II, bis der Wert des Wagens verbraucht ist. Dies hat das Sozialgericht Dortmund im Fall eines Familienvaters aus Iserlohn entschieden, der bei einer Baumarktkette als Hauptgewinn eines Gewinnspiels einen neuen VW Golf im Wert von 17.610 Euro gewonnen hatte. Die Arbeitsgemeinschaft Märkischer Kreis (ARGE) hob daraufhin die Bewilligung von Arbeitslosengeld II mit der Begründung auf, der gewonnene PKW sei als einmaliges Einkommen anzurechnen. Dies führe zu einem Wegfall der Hilfebedürftigkeit für zehn Monate (Urteil vom 19.03.2007, Az.: S 27 AS 59/07 ER).

Quellen:

beck-aktuell und Sozialgerichtsbarkeit

§ 9 Abs. 2 S. 2 SGB II ist verfassungsrechtlich bedenklich

In einer Entscheidung, im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes (§ 86b SGG), entschied das SG Duisburg, Beschluss vom 07.03.2007, Az. S 17 AS 60/07 ER das:

Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II, nach der bei der Berechnung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auch das Einkommen eines Stiefvaters anzurechnen ist, begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken. Es erfolgt dabei eine Einkommensanrechnung losgelöst von den tatsächlichen Gegebenheiten. Der Mutter bleibt dann zur Sicherstellung des Lebensunterhalts nur die Trennung vom Ehepartner, was der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG widerspricht.

Aus dem Beschlusstenor:

Die Regelung des § 9 Abs. 2 S. 2 in der ab dem 01.08.2006 geltenden Fassung begegnet im Hinblick auf die im Artikel 6 Grundgesetz gewährleistete Freiheit zur Eheschließung verfassungsrechtlichen Bedenken, weil nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II mit der Eheschließung automatisch eine Unterhaltsverpflichtung für die Kinder der Ehefrau verknüpft ist. Darüber hinaus verletzt § 9 Abs. 2 S. 2 das Gebot zur Sicherung des Existenzminimums aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot des Artikel 20 Grundgesetz. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Staat aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot des Artikel 20 Abs. 1 Grundgesetz verpflichtet, dem mittellosen Bürger die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern (Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 29.05.1990 = BverfGE 82, 60, 85). Dieser Sicherungsauftrag wird durcch § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II nicht mehr verfassungskonform gewährleistet, weil die Regelung allein die schematische Anrechnung von Einkommen zum Inhalt hat, ohne dass darauf Rücksicht genommen wird, ob das Existenzminimum des jeweiligen Kindes tatsächlich durch entsprechenden Einkommenszufluss durch den Stiefpartner gesichert ist. Sollte dies nämlich nicht der Fall sein, so stünden dem Kind keinerlei rechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, eine tatsächliche Deckung seines Bedarfs durchzusetzen.

SGB-II § 9 Abs. 2 S. 2, GG Art. 6 Abs. 1, GG Art. 100 Abs. 1

Quellen:

Jurion und Sozialgerichtsbarkeit

Kosten der Unterkunft: Tilgungsraten zum Kauf von Wohneigentum werden nicht übernommen

In einem Beschluss des Hessischen LSG (05.03.2007, Az. L 7 AS 225/06 ER) entschied das Gericht:

Zu den angemessenen Leistungen für die Unterkunft, auf die hilfebedürftige Langzeitarbeitslose Anspruch haben, gehört nicht die Übernahme von Tilgungsraten für Darlehen, die dem Aufbau von Wohneigentum dienen. Unterkunftskosten werden Langzeitarbeitslosen von den Kommunen in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erstattet, wenn sie angemessen sind. Das können Mietkosten, aber auch Darlehenszinsen für selbst genutztes Wohneigentum sein. Tilgungsraten gehören nicht dazu, weil sie der unmittelbaren Vermögensbildung dienen und dies nicht Zweck der Grundsicherung für Arbeitssuchende ist.

Quellen:

Sozialgerichtsbarkeit und Jurion.de