Archiv der Kategorie: Urteile zu Sozialfragen

ALG-II-Empfänger dürfen Wohnort frei wählen

Auch Empfängern von Arbeitslosengeld II muss ein Umzug in eine andere, teurere Stadt ermöglicht werden. Das entschied das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel und hob ein Urteil des Landessozialgerichts aus der Vorinstanz auf. Das zuständige Jobcenter sei bei einem Wohnortwechsel verpflichtet, die höheren Unterkunftskosten voll zu übernehmen, wenn diese laut Mietspiegel angemessen seien.

Eine Beschränkung der freien Wohnortwahl gelte nur innerhalb einer Kommune, urteilten die Richter. Dann würden die gesetzlichen Regelungen den Umzug von einer billigen in eine teurere Wohnung reglementieren. Die Arbeitslosen bekämen dann nur die ursprüngliche, kostengünstige Miete erstattet.

Das BSG gab damit einem 56-Jährigen Recht, der aus dem bayerischen Erlangen nach Berlin gezogen war und in der Hauptstadt monatlich höhere Mietkosten in Höhe von 107 Euro geltend gemacht hatte. Der Mann hatte Anfang 2008 in Berlin eine Unterkunft für 300 Euro gefunden – nachdem er in Erlangen nur rund 193 Euro gezahlt hatte. Das zuständige Jobcenter in Berlin wollte aber nur die bisherigen Kosten übernehmen, weil der Umzug weder zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt noch aus sozialen Gründen erforderlich gewesen sei. Konkrete Gründe für den Umzug, beispielsweise ein vorliegendes Jobangebot, gab es nicht.

Das Jobcenter wollte die vollen Unterkunftskosten nicht übernehmen und argumentierte, SGB II-Empfänger habe ohne Grund mit seinem Umzug höhere Unterkunftskosten verursacht. Er hätte sich eine Wohnung suchen können, die genauso billig wie in Bayern sei. Dies widerspreche den in der Verfassung geschützten Grundsatz der Freizügigkeit, so die Kasseler Richter.

Aktenzeichen B 4 AS 60/09 R

Unterkunftskosten auch bei Wohnmobil

Lebt ein ALG II Bezieher in einem bzw. Wohnmobil, so werden die Kosten teilweise übernommen.

Bezieher von Hartz IV-Leistungen, die in einem Wohnwagen bzw. Wohnmobil leben, bekommen die Kosten teilweise von der zuständigen ALG II Behörde bezahlt, das urteilte das Bundessozialgericht in Kassel (Az: B 14 AS 79/09 R). Ein Wohnmobil, sofern der ALG II Bezieher dort auch lebt, ist wie eine Wohnung zu behandeln, urteilten die obersten Sozialrichter. Wenn Arbeitslosengeld II Bezieher in einem Wohnwagen leben, spart die Arbeitsagentur die Kosten für Miete. Daher sei es rechtens, wenn die Behörde die Kosten für Steuern, Versicherung und Stellplatz begleichen müsse. Die Kosten für Benzin, Wartung und Pflege müsse der Betroffene allerdings selbst begleichen. Für Reparaturkosten hätte der Kläger eine Erstattung erhalten, sofern er Quittungen vorgelegt hätte.

Im konkreten Fall klagte sich ein 55 jähriger Mann aus Kaiserslautern durch alle Instanzen. Der Kläger bewohnt ein 20 Jahre altes Wohnmobil. Die Behörde weigerte sich trotz Hartz IV Antrag die notwendigen Kosten für den Wohnwagen zu übernehmen, der Mann bekam nur 345 Euro Hartz IV Regelsatz von der Behörde zugesprochen. Nach einem Erfolgreichen Widerspruch bekam der Mann wenigstens die Kosten für eine Propangasheizung von der Behörde zugesprochen. Doch auch die Betriebskosten forderte der Kläger ein, die im die Behörde widersagte. Daraufhin der klagte der Mann.

Doch das Landessozialgericht folgte der Argumentation des Klägers nicht und wies die Klage ab. So Sozialrichter urteilten, die Behörde müssen die Kosten der Unterkunft nur dann übernehmen, wenn diese für eine Wohnung sei. Die Kosten für einen beweglichen Wohnwagen falle darunter nicht. Nur die Nebenkosten sollten übernommen werden.

Doch der Kläger gab sich mit diesem Urteil nicht zufrieden und klagte vor dem Bundessozialgericht. Der Anwalt des Klägers argumentierte, dass hier eine offensichtliche Benachteilgung vorläge, da einerseits die Kosten der Unterkunft für Hartz IV Bezieher übernommen würden, die in einer Wohnung leben, jedoch nicht für ALG II Bezieher, die in einem Wohnmobil leben. Das oberste Bundessozialgericht folgte der Argumentation des Mannes teilweise und verurteilte die Arge dazu, die Kosten für die Kfz-Steuer und die Haftpflichtversicherung zu übernehmen. Die Kosten für die Reparaturen könnten theoretisch auch übernommen werden, allerdings hatte der Mann keine Quittungen mehr, so dass die Kosten nicht nachgewiesen werden konnten. Die Kosten für Sprit muss der Mann allerdings selbst übernehmen, da diese nicht im Sinne einer Unterkunft übernommen werden können.

Erforderlichkeit eines Umzugs bei Geburt eines Kindes

Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern hat in einem Eilverfahren entschieden (Beschluss vom 28.10.2008, Az.: L 8 B 299/08), dass bei der Geburt eines Kindes der Umzug in eine größere Wohnung erforderlich sein kann.

In dem entschiedenen Fall ging es um den Auszug eines 2-Personen-Haushalts (Mutter mit 4-jähriger Tochter) aus einer 58 qm großen Wohnung. Die Mutter erwartete ein zweites Kind und wollte deshalb in eine größere Wohnung umziehen. Die zuständige ARGE verweigerte ihre Zustimmung zu dem Umzug, weil dieser nicht erforderlich sei.

Das Gericht stellte klar: Die bloße Nichtausschöpfung der örtlichen Angemessenheitsgrenzen für die Wohnraumgröße mache bei ansonsten unveränderten Verhältnissen einen Umzug in eine teuerere Unterkunft zwar nicht erforderlich. Liege aber die Größe der alten Wohnung bereits unterhalb der Höchstgrenze für die bisherige Personenzahl, sei ein Umzug erforderlich. Nur wenn diese Grenze bereits von der bisherigen Unterkunft überschritten werde, beurteile sich die Erforderlichkeit eines Umzugs nach den Umständen des Einzelfalls; nur in derartigen Fällen bedürfte es einer Prüfung der Zumutbarkeit der bisherigen Unterkunft unter näherer Betrachtung deren Nutzungsmöglichkeiten anhand des Grundrisses und sonstiger Ausstattungsmerkmale. Hiernach sei im Falle einer Bedarfsgemeinschaft von zwei Personen, deren bisherige Unterkunft die maßgebliche Höchstfläche von 60 m² unterschreite, bei Eintritt einer weiteren Person, sei es durch die Geburt eines Kindes, durch die Aufnahme eines weiteren Familienmitglieds oder durch den Einzug eines Lebenspartners, regelmäßig ein Umzug in eine größere Unterkunft.

Dies bedeutet für Sie: Prüfen Sie, ob Ihre alte Wohnung schon jetzt kleiner ist, als der Wohnflächenhöchstwert für Ihre bisherige Personenzahl (In Hamburg: 2 Personen: 60 qm, 3 Personen: 75 qm, 4 Personen: 85 qm, 5 Personen: 97 qm, 6 Personen: 109 qm) Ist dies der Fall und kommt bei Ihnen eine weitere Person hinzu, ist ein Umzug erforderlich.

Erforderlichkeit eines Umzugs zur Ausübung des Umgangsrechts

Das Hessische Landessozialgericht hat entschieden (Beschluss vom 19.03.2009, Az.: L 7 AS 53/09 B ER), dass ein Umzug eines Hartz-4-Empfängers erforderlich ist, wenn er durch einen vernünftigen Grund gerechtfertigt ist. Dies ist der Fall, wenn der Umzug zur besseren Wahrnehmung des Umgangsrechts oder zur Aufrechterhaltung des Kontaktes mit dem eigenen Kind dient. Der Leistungsempfänger kann dann die Übernahme der neuen – angemessenen – Unterkunftskosten beanspruchen, auch wenn diese höher als diejenigen am früheren Wohnort sind.

In dem entschiedenen Fall ging es um die Frage, wann ein Umzug erforderlich im Sinne des § 22 Abs. 2 SGB II ist. Das Gericht stellte klar, dass hierbei maßgeblich ist, ob der Umzug durch einen vernünftigen Grund gerechtfertigt ist bzw. ob für den Umzug ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Anlass vorliegt, von dem sich auch ein Nichthilfeempfänger hätte leiten lassen, wofür auch die in der einschlägigen Gesetzesbegründung (BT-Drucks.16/1410 S. 23 zu Nr. 21) genannten Beispiele eines erforderlichen Umzugs sprächen: Umzug zur Eingliederung in Arbeit, aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen.

Für den Umzug des Hilfeempfängers lagen Gründe dieser Art vor. Er habe glaubhaft dargelegt, dass seine Frau, mit der zuvor in C. zusammengewohnt habe, sich Anfang Juni 2007 von ihm getrennt habe und zusammen mit der Tochter nach A. gezogen sei. Nach der Trennung habe er seine Tochter vier Monate lang nicht zu sehen bekommen. Dies sei nach vielen gescheiterten Bemühungen erst ermöglicht worden, nachdem er einen Antrag auf Regelung des Umgangsrechts beim Familiengericht eingereicht habe. Um bei seinen Bemühungen, wieder Kontakt zu seiner Tochter zu bekommen, nicht schon allein aufgrund der räumlichen Distanz zu der Tochter und zu den zuständigen Behörden und Gerichten zu scheitern, habe er sich entschlossen, nach A. zu ziehen. Diese Gründe seien plausibel, nachvollziehbar und vernünftig. Der Umzug an den Wohnort seiner Tochter versetze den Antragsteller eher in die Lage, seiner Verantwortung als Elternteil gerecht zu werden.

Keine Kostenübernahme für Jugendweihefeier

Das SG Dresden hat entschieden, dass Arbeitslosengeld II-Empfänger keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Feier der Jugendweihe in einer Gaststätte haben.

Der Kläger aus Dresden hatte im Frühjahr 2007 seine Jugendweihe. Seine Mutter ist arbeitslos und bezieht Arbeitslosengeld II („Hartz IV“). Im Anschluss an die Jugendweihe feierte die Familie mit insgesamt neun Personen in einer Gaststätte. Hierfür beantragte die Mutter bei der ARGE ein Darlehen. Die Rechnung betrug 155,80 €. Gegen die Ablehnung klagten Mutter und Sohn vor dem Sozialgericht.

Das SG Dresden hat die Klage abgewiesen.

Nach Auffassung des Gerichts muss die Regelleistung für Arbeitslosengeld II-Empfänger auch für Feierlichkeiten wie eine Familienfeier anlässlich der Jugendweihe eingesetzt werden. Ein zusätzliches Darlehen könne nur bei einem unabweisbaren Bedarf gewährt werden. Wenn die Familie wenig Geld hat, sei es zumutbar, die Familienfeier in der eigenen Wohnung zu wesentlich niedrigeren Kosten durchzuführen. Die ARGE sei nicht verpflichtet, für die Gaststättenrechnung zusätzliches Geld zur Verfügung zu stellen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

S 20 AS 807/07

Erstattungsanspruch bei Notfallbehandlung eines ALG-II-Berechtigten

Das BSG hat sich mit einem Erstattungsanspruch des Krankenhauses gegen den Sozialhilfeträger bei Notfallbehandlung eines Arbeitslosengeld-II-Berechtigten beschäftigt.

Die 12jährige S. wurde im April 2005 stationär im Krankenhaus behandelt. Sie und ihre 40 Jahre alte Mutter hatten zu diesem Zeitpunkt keinen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld II nach dem SGB II gestellt. Da die vom Krankenhaus zunächst angegangene Krankenkasse, die die Mutter der S. angegeben hatte, die Übernahme der entstandenen Behandlungskosten wegen fehlender Krankenversicherung ablehnte, wandte sich die Klägerin als Trägerin des Krankenhauses an den beklagten Sozialhilfeträger. Dieser lehnte die Leistung ab, weil S. und ihre Mutter dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II seien und damit ein Anspruch auf Erstattung von Kosten nach § 25 SGB XII im Rahmen der Nothilfe gegen den Sozialhilfeträger ausscheide.

Das BSG hat die Sache mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen zum Versichertenstatus der S. und dazu, ob überhaupt ein Notfall i.S.d. § 25 SGB XII vorlag, zurückverwiesen. Die Entscheidung des Landessozialgerichts zur grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 25 SGB XII wurde indes bestätigt.

Das Gericht ist der Auffassung, war S. nicht anderweitig krankenversichert, wären bei Bedürftigkeit Hilfen zur Gesundheit nach dem Fünften Kapitel des SGB XII zu erbringen gewesen. Die Gewährung dieser Leistungen ist weder nach § 5 SGB II noch nach § 21 SGB XII neben einem Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, wenn es an einem Antrag auf Leistungen nach dem SGB II fehlt.

BSG B 8 SO 4/08 R vom 19.05.2009

Sozialhilfe muss Hörgerätebatterien zahlen

Das Sozialamt muss bedürftigen Schwerhörigen die Kosten für Hörgerätebatterien erstatten. Die Batterien gehörten zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens, urteilte am Dienstag das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. (Az: B 8 SO 32/07 R)

Die heute 72-jährige Klägerin aus Niedersachsen leidet an einer Innenohrschwerhörigkeit. Sie lebt von einer unzureichenden Rente und ergänzender „Grundsicherung im Alter“ vom Sozialamt. Die Behörde weigerte sich, die Kosten von acht Euro monatlich für die Hörgerätebatterien zu übernehmen. Weil die gesetzlichen Krankenkassen die Batterien nicht zahlen, wäre dies eine Ungleichbehandlung gegenüber Arbeitnehmern.

Das BSG wies diese Argumentation ab. Für ein Leben in Gemeinschaft sei die Frau auf ihre Hörgeräte mit Batterien angewiesen. Das Landessozialgericht Celle soll allerdings noch prüfen, ob andere, gegenüber der Sozialhilfe vorrangig Leistungspflichtige Träger die Kosten übernehmen müssen.

Tafeln dienen nicht der Abwälzung staatlicher Verantwortung für die Sicherung des Existenzminimums

Das Sozialgericht Bremen hat es in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren für unzulässig erklärt, einen unstreitig mittellosen Hilfebedürftigen ausschließlich auf Leistungen einer Lebensmitteltafel zu verweisen. Die Bremer Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales (BAgIS) wurde daher zur darlehnsweisen Gewährung von Lebensmittelgutscheinen und eines Barbetrages verpflichtet, den der Antragsteller für die Begleichung des Fahrgeldes und die notwendigen Zuzahlungen bei notwendigen Arztbesuchen benötigt.

Hintergrund der Entscheidung war der Antrag auf Gewährung von Lebensmittelgutscheinen und Fahrgeld sowie die Übernahme notwendiger Arztkosten durch einen Antragsteller, der am 16.02.2009 aus der JVA H. entlassen worden war und der sich zurzeit eine Methadon-Therapie befindet, für die er Praxis- und Rezeptgebühren in Höhe von 20,00 Euro zahlen muss.

Am 24.02.2009 beantragte er bei der BAgIS eine Beihilfe für die Erstausstattung seiner Wohnung. Von der Antragsgegnerin erhielt er daraufhin einen Betrag in Höhe von 1.051,00 Euro ausgezahlt. Von diesem Betrag erwarb er entsprechende Einrichtungsgegenstände. Am 17.03.2009 sprach er bei der Antragsgegnerin mit der Begründung vor, er habe keine finanziellen Mittel mehr für seinen Lebensunterhalt. Er erhielt eine Bescheinigung für die Tafel in W., wo er noch am selben Tag Lebensmittel erhielt.
Am 19.03.2009 hat er dann den vorliegenden Eilantrag gestellt, dem die BAgIS mit der Begründung entgegen getreten ist, der Antragsteller habe bereits einen Lebensmittelgutschein für die W. Tafel erhalten. In der Regel erhielten dort Hilfebedürftige einmal in der Woche Lebensmittel. Die Ausgabe eines Lebensmittelgutscheins für einen Supermarkt komme hier nicht in Betracht, weil solche Gutscheine nur im Falle von Sanktionen 40 % aufwärts ausgestellt werden könnten. Auch die Übernahme von Fahrgeld und Arztkosten aufgrund der Substitution könne nicht übernommen werden. Fahrgeld sei Bestandteil der Regelleistung, die an den Antragsteller bereits ausgezahlt worden sei. Im Übrigen übernehme die Krankenkasse die mit der Substitution verbundenen Ausgaben. Sie verweist weiter auf einen Aktenvermerk der Antragsgegnerin vom 20.03.2009 über die persönliche Vorsprache des Antragstellers am 17.03.2009, aus der sich ergibt, dass der Antragsteller bei Bezug seiner Wohnung am 01.03.2009 eine anteilige Erstausstattung in Höhe von 766,90 Euro bewilligt bekommen hat. Die Regelleistung sei unter Berücksichtigung eines Entlassungsgeldes (610,19 Euro) in Höhe von 177,67 Euro bewilligt und per Scheck ausgezahlt worden. In dem Vermerk findet sich weiter der Hinweis, dass die Wohnung des Antragstellers komplett mit neuen Möbeln inklusive eines LCD-Flachbildschirms ausgestattet sei und ein vorrangiger Anspruch bei der Agentur für Arbeit auf Arbeitslosengeld I bestehe. In einer weiteren Stellungnahme der Antragsgegnerin zum Eilverfahren heißt es, dem Antragsteller seien unter Anrechnung des Entlassungsgeldes 284,29 Euro Regelleistung für die Monate Februar und März 2009 bewilligt worden.

Der Antragsteller hat auf telefonische Nachfrage des Gerichts erklärt, dass es tatsächlich sein Fehler gewesen sei, sich das Geld nicht besser eingeteilt zu haben. Allerdings habe er von der Antragsgegnerin keinen schriftlichen Bescheid über die Leistungsbewilligung erhalten, so dass für ihn nicht erkennbar gewesen sei, welcher Betrag für den Lebensunterhalt und welcher für die Erstausstattung vorgesehen sei. Fahrgeld bräuchte er, weil er bisher sowohl zur W. Tafel als auch zur Therapie in der Innenstadt (Tivoli-Hochhaus) von B. aus zu Fuß gegangen sei. Bei der Tafel habe er nur ein Brot, zwei Brötchen, eine Flasche Ketchup und vier Scheiben Wurst erhalten. Dies habe wohl daran gelegen, dass man eigentlich bei der W. Tafel 15,00 Euro im Monat Mitgliedsbeitrag zahlen müsse. Ohne einen Mitgliedsausweis erhalte man nur die Lebensmittel, die übrig blieben. Zum Glück habe er bei einem Bekannten mitessen dürfen. Heute Nachmittag werde er noch einmal zur Tafel gehen. Die Praxisgebühr müsse er für die Überweisung vom Hausarzt zahlen. Behandelt worden sei er diese Woche aus Medikamentenbeständen. Ihm sei aber deutlich gemacht worden, dass er ab Montag die Zuzahlungen leisten müsse. Herr Z. von der Straffälligenbetreuung hat auf telefonische Nachfrage erklärt, dass der Antragsteller mittellos sei. Er habe dem Antragsteller für die Vorsprache bei der BAgIS ein Schreiben mitgegeben, in dem um eine Erläuterung der Leistungshöhe gebeten wurde. Eine solche schriftliche Erläuterung habe der Antragsteller aber nicht erhalten. Das Sozialgericht hielt den nach § 86b Abs. 2 SGG statthaften Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für begründet.

Voraussetzung für den Erlass der begehrten Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungs-grund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Der Antragsteller konnte sowohl das Vorliegen eines Anordnungsan-spruchs, als auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes glaubhaft machen.

Der Anspruch des Antragstellers folgt aus § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Kann nach dieser Vorschrift im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II noch auf andere Weise gedeckt werden, erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt dem Hilfebedürftigen ein entsprechendes Darlehen.

Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind erfüllt. Der Antragsteller hat seine Mittellosigkeit glaubhaft dargelegt. Sie wird auch von der BAgIS nicht bestritten. Ein Ermessen räumt die Vorschrift der Verwaltung insoweit nicht ein. Soweit die BAgIS meint, die Gewährung von Lebensmittelgutscheinen komme nur bei einer Sanktionierung ab 40 % in Betracht, ist eine solche Verwaltungspraxis – so sie denn tatsächlich besteht – offensichtlich rechtswidrig. § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II spricht eindeutig auch von einer Leistungsgewährung als Sachleistung, was entsprechende Gutscheine einschließt.

Der BAgIS ist zuzugestehen, dass sie zu Recht darauf hinweist, die Hilfebedürftigen müssten mit den ihn gewährten Leistungen auskommen. Sie verkennt dabei aber, dass Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die unabhängig von den Gründen der Hilfebedürftigkeit besteht. Vor diesem Hintergrund ist es unzulässig, einem unstreitig mittellosen Hilfeempfänger aus letztlich pädagogischen Gründen ein Darlehen für Lebensmittel zu verweigern.

Unzulässig ist es aber auch, den Hilfebedürftigen in einer solchen Situation auf eine Lebensmitteltafel zu verweisen, ohne sicherstellen zu können, dass dort Lebensmittel in genügendem Maße vorhaben sind und verteilt werden können. Tafeln sind ein staatliche Hilfe ergänzendes Angebot; basierend auf dem Grundsatz ehrenamtlichen Engagements. Sie dienen nicht der Abwälzung staatlicher Verantwortung für die Sicherung des Existenzminimums. Vor diesem Hintergrund kann vorliegend dahinstehen, ob der Antragsteller tatsächlich überhaupt wusste, welcher Betrag für den Lebensunterhalt vorgesehen war. Da die Antragsgegnerin telefonisch nicht mehr erreichbar war, konnte sie zu dem Vortrag des Antragstellers insoweit nicht mehr gehört werden. Ohne Aktenkenntnis konnte das Gericht auch nicht überprüfen, ob die Gewährung einer nur anteiligen Erstausstattungspauschale zu Recht erfolgte und ob die Leistungen auch ansonsten in korrekter Höhe bewilligt wurden. Allerdings ist dies auch nicht Gegenstand des Eilverfahrens.
Soweit die Antragsgegnerin meint, der Antragsteller müsse keine Zuzahlungen zu seiner The-rapie leisten, irrt sie. Nach § 61 Satz 1 SGB V hat er bei Medikamenten eine Zuzahlung zwischen fünf und zehn Euro zu leisten. Die Pflicht zur Zahlung der Praxisgebühr folgt aus § 28 Abs. 4 SGB V. Diese Zuzahlungen sind bis zur Belastungsgrenze nach § 62 Abs. 1 SGB V zu leisten, die nach § 62 Abs. 1, Satz 2, Abs. 2 Satz 6 SGB V bei Versicherten, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II erhalten, bei nicht chronisch Kranken 2 % der jährlichen Regelleistung beträgt (sonst 1 %). Diese Vorschrift ist verfassungsgemäß.
Die Barzahlung in Höhe von 60,00 € ist für die notwendigen Zuzahlungen sowie die Fahrkarten von Bremen-Nord in die Innenstadt vorgesehen. Das Gericht ist dabei davon ausgegangen, dass der Antragsteller Fahrkarten der Tarifzone II benötigt. Sollte dies nicht der Fall sein oder er für den Rest des Monats weniger Fahrkarten benötigen, steht es ihm selbstverständlich frei, diese ohnehin nur darlehensweise gewährte Leistung nicht in Anspruch zu nehmen.
Sozialgerichts Bremen, Beschluss vom 20. März 2009 – S 26 AS 528/09 ER

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Kein ALG II (Hartz IV) für Haus­tie­re

Die Be­stim­mun­gen des So­zi­al­ge­setz­bu­ches II zum Ar­beits­lo­sen­geld II sehen, so das So­zi­al­ge­richt Gie­ßen in einer jetzt ver­öf­f­ent­lich­ten Ent­schei­dung, kei­nen Mehr­be­darf für die Hal­tung von Haus­tie­ren vor, so dass ein Be­zie­her von Ar­beits­lo­sen­geld II den mit der Hal­tung eines Tie­res ver­bun­de­nen Auf­wand aus der Re­gel­leis­tung be­zah­len muss. An­ders sieht dies je­doch mit den Ein­nah­men aus, die aus der Tier­hal­tung er­zielt wer­den, diese sind im Rah­men der Be­rech­nung der ALG II-​Hö­he zu be­rück­sich­ti­gen.

In dem jetzt vom So­zi­al­ge­richt Gie­ßen ent­schie­de­nen Fall hielt eine Fa­mi­lie mit vier Kin­dern zeit­wei­se über 40 Hunde, ein Pferd, ein Pony und eine Katze. Die Fa­mi­lie er­ziel­te aus dem Ver­kauf von Wel­pen mo­nat­li­che Ein­nah­men von etwa 2400 €, dazu kam Kin­der­geld sowie die fi­nan­zi­el­le Zu­wen­dung eines On­kels. Die Fa­mi­lie hatte Ar­beits­lo­sen­geld II be­an­tragt und dabei ar­gu­men­tiert, die Er­lö­se aus der Hun­de­zucht dien­ten zur De­ckung der Kos­ten für alle Tiere und könn­ten daher nicht als Ein­kom­men ge­wer­tet wer­den. Diese Ar­gu­men­ta­ti­on fand vor dem So­zi­al­ge­richt aber kein Gehör.

Bei den Er­lö­sen aus dem Ver­kauf der Hunde han­de­le es sich, so der Gie­ße­ner Rich­ter, um Ein­nah­men, die zu­nächst zur De­ckung des ei­ge­nen Le­bens­un­ter­halts zu ver­wen­den seien, bevor steu­er­fi­nan­zier­te Leis­tun­gen in An­spruch ge­nom­men wür­den. Eine Ver­wen­dung der Mit­tel für den Un­ter­halt der Tiere sei nach­ran­gig und erst nach voll­stän­di­ger De­ckung des Be­darfs der An­trag­stel­ler zu­läs­sig. Von den Ein­nah­men könn­ten daher nur die mit der Hun­de­zucht ver­bun­de­nen Be­triebs­aus­ga­ben, d. h. die Kos­ten für die Auf­zucht der Wel­pen und der El­tern­paa­re die­ser Wel­pen, ab­ge­zo­gen wer­den, alles an­de­re müsse aus der Re­gel­leis­tung be­gli­chen wer­den. Da das hier er­ziel­te Ein­kom­men den Be­darf der An­trag­stel­ler decke, be­ste­he kein An­spruch auf Leis­tun­gen nach dem SGB II.

So­zi­al­ge­richt Gie­ßen, Be­schluss vom 20.03.2009 – S 29 AS 3/09 ER

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Nachzahlung von Arbeitslosenhilfe nicht auf Hartz IV-Leistungen anrechenbar

Das SG Düsseldorf hat entschieden, dass eine Nachzahlung von Arbeitslosenhilfe nicht als Einkommen oder Vermögen auf einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Hartz IV) angerechnet werden darf.

Die Klägerin hatte in einem Rechtsstreit gegen die Bundesagentur für Arbeit erreicht, dass diese ihr für die Jahre 2003 und 2004 Arbeitslosenhilfe in Höhe von rund 9.200,00 € nachzahlen musste. Die Klägerin, die inzwischen von der ARGE Düsseldorf Arbeitslosengeld II bezog, erhielt diesen Betrag im Jahr 2005 und beließ ihn fast vollständig auf ihrem Konto. Die ARGE kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin, die einige Vermögenswerte besaß, nun den Vermögensfreibetrag überschritten habe. Die ARGE hob ihre Bewilligung auf und forderte ihre Leistungen zurück.

Das SG Düsseldorf hat der hiergegen gerichteten Klage stattgegeben.

Das Gericht ist der Auffassung, die Nachzahlung der Arbeitslosenhilfe ist zunächst als Einkommen anzusehen und stützte sich dabei auf den Grundsatz, dass Einkommen alles das ist, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er in der Bedarfszeit bereits hat. Die Nachzahlung sei aber eine zweckbestimmte Einnahme, die nach dem Gesetz nicht auf das Arbeitslosengeld II angerechnet werden darf. Der Zweck bestehe darin, den rechtmäßigen Zustand wiederherzustellen. Ab dem Monat, der auf den Zuflussmonat folgt, handele es sich bei der Nachzahlung um Vermögen. Dieses sei aber ebenfalls gesetzlich geschützt, denn seine Verwertung bedeutet eine besondere Härte. Denn anderenfalls kämen die Leistungen der Bundesagentur für Arbeit der Klägerin nicht zugute. Diese habe aber nicht zu verantworten, dass die Leistungen der Bundesagentur verspätet gewährt wurden. Das Gericht ließ offen, ob ein derart erworbenes Vermögen dauerhaft unangetastet bleiben darf.

Gericht/Institution: SG Düsseldorf
Erscheinungsdatum: 06.04.2009
Entscheidungsdatum: 09.03.2009
Aktenzeichen:

Quelle

S 35 AS 12/07