Muendliche Verhandlung der Verfassungsbeschwerde von elf Landkreisen gegen die organisatorische Umsetzung von „Hartz IV“

Das Bundesverfassungsgericht hat eine neue Pressemitteilung veröffentlicht.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am

Donnerstag, 24. Mai 2007, 10:00 Uhr,

die Verfassungsbeschwerde von elf Kreisen bzw. Landkreisen. Diese wenden sich gegen die Zuweisung der Zuständigkeit für einzelne Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) ohne vollständigen Ausgleich der sich daraus ergebenden Mehrbelastungen. In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren – 2 BvR 2433/04 – beanstanden die Beschwerdeführer zudem die Verpflichtung, Arbeitsgemeinschaften mit der Bundesagentur für Arbeit zu bilden.

Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung der kommunalen
Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 GG).

Indem der Bundesgesetzgeber in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II die Kreise
für einzelne Leistungen der Grundsicherung für zuständig erkläre, greife
er unzulässig auf die kommunale Ebene durch. Die Aufgabenzuweisung an
die Kommunen sei nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes
grundsätzlich den Ländern vorbehalten; diese müssten den Kommunen
Kostenersatz für die mit der Aufgabenzuweisung verbundenen Belastungen leisten. Weise hingegen der Bund die Aufgabe zu, sei das Land gegenüber den Kommunen nicht zum Kostenersatz verpflichtet.

Quelle:

Bundesverfassungsgericht – Pressestelle –Pressemitteilung Nr. 43/2007 vom 5. April 2007

BGH über die Verantwortlichkeit des Betreibers eines Meinungsforums im Internet

Der Bundesgerichtshof hat heute darüber geurteilt, wie Forenbetreiber für Meinungsäußerungen der User haften:

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Verantwortlichkeit des Betreibers eines Internetforums für dort eingestellte ehrverletzende Beiträge nicht deshalb entfällt, weil dem Verletzten die Identität des Autors bekannt ist. Gegen den Forumsbetreiber kann vielmehr ab Kenntniserlangung ein Unterlassungsanspruch des Verletzten bestehen, unabhängig von dessen Ansprüchen gegen den Autor des beanstandeten Beitrags.

Einem Unterlassungsanspruch gegen den Betreiber des Forums steht auch nicht entgegen, dass der beanstandete Beitrag in ein so genanntes Meinungsforum eingestellt worden ist.

Der Pressemitteilung ist zu entnehmen, dass der Forenbetreiber haftet, sobald er Kenntnis von rechtswidrigen Inhalten hat. Eventuelle vorbeugende Kontrollpflichten lassen sich der Pressemitteilung nicht entnehmen. Andererseits kann der Forenbetreiber nicht auf den Verfasser des Kommentars verweisen, selbst wenn dieser bekannt ist.

BGH Pressemitteilung Nr. 39/07 vom 27.3.2007:

Bundesgerichtshof entscheidet über die Verantwortlichkeit des Betreibers eines Meinungsforums im Internet

Der Kläger ist Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender eines Vereins, dessen satzungsmäßiger Zweck u. a. die Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet ist. Die Beklagte ist Betreiberin eines Internetforums, das sich mit sexuellem Missbrauch und Kinderpornographie beschäftigt. Der Kläger hat die Beklagte auf Unterlassung der Verbreitung von zwei Beiträgen in Anspruch genommen, durch die sich der Kläger in seiner Ehre verletzt sieht und die von Dritten jeweils unter einem Pseudonym („Nickname“) in das Forum eingestellt worden waren. Der Autor eines der Beiträge ist den Parteien bekannt. Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Klage hinsichtlich des Beitrags des den Parteien bekannten Verfassers abgewiesen. Die Revision des Klägers führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Gegenstand des Revisionsverfahrens war u. a. die Frage, ob und unter welchen Umständen der Betreiber eines Internetforums vom Verletzten auf Unterlassung einer ehrverletzenden Äußerung in Anspruch genommen werden kann, die ein Dritter in das Forum eingestellt hat. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Verantwortlichkeit des Betreibers eines Internetforums für dort eingestellte ehrverletzende Beiträge nicht deshalb entfällt, weil dem Verletzten die Identität des Autors bekannt ist. Gegen den Forumsbetreiber kann vielmehr ab Kenntniserlangung ein Unterlassungsanspruch des Verletzten bestehen, unabhängig von dessen Ansprüchen gegen den Autor des beanstandeten Beitrags.

Einem Unterlassungsanspruch gegen den Betreiber des Forums steht auch nicht entgegen, dass der beanstandete Beitrag in ein so genanntes Meinungsforum eingestellt worden ist. An einer abschließenden Entscheidung war der Senat gehindert, weil der Inhalt des zweiten Beitrags vom Tatrichter noch nicht gewürdigt worden war.

Urteil des VI. Zivilsenats vom 27.3.2007 – VI ZR 101/06 –

LG Düsseldorf – Entscheidung vom 14.9.2005 – 12 O 440/04 ./.; OLG Düsseldorf – Entscheidung vom 26.4.2006 – I-15 U 180/05

Quellen:

Pressemitteilung des BGH und lawblog

Kein Arbeitslosengeld II nach Gewinn eines Autos

Gewinnt ein Langzeitarbeitsloser in einem Gewinnspiel einen PKW, besteht in der Folgezeit kein Anspruch auf Arbeitslosengeld II, bis der Wert des Wagens verbraucht ist. Dies hat das Sozialgericht Dortmund im Fall eines Familienvaters aus Iserlohn entschieden, der bei einer Baumarktkette als Hauptgewinn eines Gewinnspiels einen neuen VW Golf im Wert von 17.610 Euro gewonnen hatte. Die Arbeitsgemeinschaft Märkischer Kreis (ARGE) hob daraufhin die Bewilligung von Arbeitslosengeld II mit der Begründung auf, der gewonnene PKW sei als einmaliges Einkommen anzurechnen. Dies führe zu einem Wegfall der Hilfebedürftigkeit für zehn Monate (Urteil vom 19.03.2007, Az.: S 27 AS 59/07 ER).

Quellen:

beck-aktuell und Sozialgerichtsbarkeit

§ 9 Abs. 2 S. 2 SGB II ist verfassungsrechtlich bedenklich

In einer Entscheidung, im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes (§ 86b SGG), entschied das SG Duisburg, Beschluss vom 07.03.2007, Az. S 17 AS 60/07 ER das:

Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II, nach der bei der Berechnung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auch das Einkommen eines Stiefvaters anzurechnen ist, begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken. Es erfolgt dabei eine Einkommensanrechnung losgelöst von den tatsächlichen Gegebenheiten. Der Mutter bleibt dann zur Sicherstellung des Lebensunterhalts nur die Trennung vom Ehepartner, was der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG widerspricht.

Aus dem Beschlusstenor:

Die Regelung des § 9 Abs. 2 S. 2 in der ab dem 01.08.2006 geltenden Fassung begegnet im Hinblick auf die im Artikel 6 Grundgesetz gewährleistete Freiheit zur Eheschließung verfassungsrechtlichen Bedenken, weil nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II mit der Eheschließung automatisch eine Unterhaltsverpflichtung für die Kinder der Ehefrau verknüpft ist. Darüber hinaus verletzt § 9 Abs. 2 S. 2 das Gebot zur Sicherung des Existenzminimums aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot des Artikel 20 Grundgesetz. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Staat aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot des Artikel 20 Abs. 1 Grundgesetz verpflichtet, dem mittellosen Bürger die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern (Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 29.05.1990 = BverfGE 82, 60, 85). Dieser Sicherungsauftrag wird durcch § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II nicht mehr verfassungskonform gewährleistet, weil die Regelung allein die schematische Anrechnung von Einkommen zum Inhalt hat, ohne dass darauf Rücksicht genommen wird, ob das Existenzminimum des jeweiligen Kindes tatsächlich durch entsprechenden Einkommenszufluss durch den Stiefpartner gesichert ist. Sollte dies nämlich nicht der Fall sein, so stünden dem Kind keinerlei rechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, eine tatsächliche Deckung seines Bedarfs durchzusetzen.

SGB-II § 9 Abs. 2 S. 2, GG Art. 6 Abs. 1, GG Art. 100 Abs. 1

Quellen:

Jurion und Sozialgerichtsbarkeit

Kosten der Unterkunft: Tilgungsraten zum Kauf von Wohneigentum werden nicht übernommen

In einem Beschluss des Hessischen LSG (05.03.2007, Az. L 7 AS 225/06 ER) entschied das Gericht:

Zu den angemessenen Leistungen für die Unterkunft, auf die hilfebedürftige Langzeitarbeitslose Anspruch haben, gehört nicht die Übernahme von Tilgungsraten für Darlehen, die dem Aufbau von Wohneigentum dienen. Unterkunftskosten werden Langzeitarbeitslosen von den Kommunen in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erstattet, wenn sie angemessen sind. Das können Mietkosten, aber auch Darlehenszinsen für selbst genutztes Wohneigentum sein. Tilgungsraten gehören nicht dazu, weil sie der unmittelbaren Vermögensbildung dienen und dies nicht Zweck der Grundsicherung für Arbeitssuchende ist.

Quellen:

Sozialgerichtsbarkeit und Jurion.de

SGB II Empfänger können Mehrbedarf wegen Diabetes geltend machen

Diabetiker, die wegen ihrer Krankheit auf besondere Ernährung angewiesen sind, haben Anspruch auf einen Zuschlag zum Regelsatz des ALG II (Hartz IV).

Das entschied das Hessische Landessozialgericht in einem Beschluss (Aktenzeichen: AZ L 7 AS 241/09 ER vom 05.02.2007). Die hessischen obersten Sozialrichter gaben einem Kläger recht, der an Diabetes mellitus vom Typ IIa leidet, und dem die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) aus O. einen Mehrbedarfszuschlag verwehrt hatte. Die ARGE argumentierte, Diabetiker könnten sich ohne finanziellen Mehraufwand krankheitsgerecht ernähren.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht (BSG) angefochten werden (§ 177 SGG).

Zwar sei in der medizinischen Wissenschaft die Frage nach der Notwendigkeit und Wirksamkeit einer besonderen Diabetes-Kost noch nicht endgültig entschieden. Solange dies aber so sei, folge das Gericht den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge. Dieser empfehle eine besondere Krankenkost für Diabetiker. Da diese Ernährung einen medizinisch notwendigen tatsächlichen Bedarf abdecke, gehöre ihre Finanzierung zum verfassungsrechtlich geschützten Existenzminimum, entschied das Gericht. Dem Kranken sei nicht zuzumuten, diesen Mehrbedarf aus dem so genannten «Ansparanteil» des Regelsatzes zu decken, da dieser für einmaligen besonderen Bedarf gedacht sei, urteilten die Richter.

Zitat aus der Beschlussbegründung:

In seiner Auskunft vom 4. Oktober 2006 hat der Deutsche Verein vielmehr ausdrücklich erklärt, dass er seine Empfehlungen aus dem Jahre 1997 aktuell überprüfe; bis zum Abschluss dieser Revision, deren Ergebnis noch völlig offen sei, werde an den Empfehlungen aus dem Jahr 1997 festgehalten, in diesen werde weiterhin eine geeignete Grundlage zur Bemessung des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II gesehen.

Zitatende

Nachtrag zum BSG Urteil vom 07.11.2006, Az. B 7b AS 18/06 R

Die Angemessenheit von Unterkunftskosten ist im Einzelfall zu ermitteln.

Die Tabellenwerte in § 8 WoGG stellen keinen geeigneten Maßstab zur Ermittlung der Angemessenheit tatsächlicher Kosten einer Wohnunterkunft dar. Das entscheidende Gericht muss im Einzelfall selbst ermitteln, welche Wohnungskosten angemessen sind. Faktoren für die Entscheidungsfindung sind die Größe der gegenwärtig durch die Bedarfsgemeinschaft angemieteten Wohnung, die landesrechtlich anerkannten Größen nach dem WoFG, der Wohnungsstandard im Verhältnis zum Wohnungsstandard sonstiger Wohnungen im sozialen Umfeld der Bedarfsgemeinschaft, sowie die konkrete Lage auf dem Wohnungsmarkt hinsichtlich tatsächlich verfügbaren „angemessenen“ Wohnraums.

ALG II auch für Abendschüler

Auch Abendschüler können unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Arbeitslosengeld II (SGB II) haben.

Das entschied das Sozialgericht Aachen. Im konkreten Fall hatte die zuständige Arge die Zahlung von ALG II an einen Abendrealschüler abgelehnt. Dieser absolvierte neben einem «Ein-Euro-Job» eine auf zwei Jahre angelegte Ausbildung mit 22 Wochenstunden an der Abendschule. Die Arge begründete die Ablehnung damit, dass eine Ausbildung an der Abendschule grundsätzlich nur mit BAföG unterstützt werden könne.

Die Richter verwiesen jedoch auf eine Verwaltungsvorschrift zum BAföG, der zufolge ein Schüler nur im Jahr vor der Abschlussprüfung Anspruch auf Förderung habe, da die Schulausbildung die Arbeitskraft erst dann voll in Anspruch nehme. Da der Antragsteller in seiner Ausbildung noch nicht so weit fortgeschritten sei, könne er gar kein BAföG bekommen und habe deshalb Anspruch auf ALG II.

Diese Entscheidung könnte nach Einschätzung des Gerichts «weit reichende Bedeutung für ‚Hartz-IV‘-Empfänger haben, die auf der Abendrealschule oder dem Abendgymnasium einen Abschluss nachholen wollen». Denn bislang werde in der Rechtsprechung ein Anspruch auf ALG II für Abendschüler unabhängig vom Studienfortschritt grundsätzlich ausgeschlossen.

Quellen:

Förderland vom 19.02.2006

Sozialgericht Aachen, Beschluss vom 14. Februar 2007, AZ: S 15 AS 19/07 ER

Staat haftet bei Behörden-Überlastung

In einem Urteil des III. Zivilsenats vom 11.1.2007 – III ZR 302/05 – hat heute der BGH festgestellt, dass jede Behörde die Amtspflicht hat, Anträge mit der gebotenen Beschleunigung zu bearbeiten. Ist dies wegen Überlastung des zuständigen Beamten nicht gewährleistet, so haben nicht nur die zuständige Behörde, sondern auch die übergeordneten Stellen im Rahmen ihrer Möglichkeiten Abhilfe zu schaffen.

Urteil vom 11. Januar 2007 – III ZR 302/05

OLG Schleswig – Urteil vom 10. November 2005 – 11 U 145/04 ./. LG Lübeck – Urteil vom 27. August 2004 – 9 O 159/02

Quellen: Mitteilung der Pressestelle des BGH (Nr. 4/2007) vom 11.01.07 , ZDF und Handakte WebLAWg